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Kann Musik töten? Blöde Frage, oder? Naja, so ganz ohne ist die Sache ja nicht. Erinnert Ihr Euch an "Die fabelhafte Welt der Amelie"? _Das_ ist wirklich 'ne blöde Frage, denn wenn Ihr den Film gesehen habt, halte ich es für fast ausgeschlossen, dass sich dieser Streifen nicht in Eurere Köpfe eingebrannt hat. Und wer Amelie nicht kennt - dessen Leben ist heute nicht so reich, wie es sein könnte. Klingt pathetisch? Ist auch so gemeint. In diesem, meiner Meinung nach zauberhaftesten Film aller Zeiten, kommt ein Stück Musik vor, auf dessen Suche ich mich heute gemacht habe. Nach ungefähr 30 Minuten erfolgloser Recherche im Internet fiel mir wieder ein, dass Heike nach dem Kino Interpret und Titel so locker aus dem Ärmel geschüttelt hat und nebenbei erwähnte, dass sie das Teil ab und zu mal daheim mit voller Lautstärke hört. Ich mailte sie an und sie schüttelte wieder: Samuel Barber, Agnus Dei (Adagio for Strings). Der ungeduldige Leser wird sich wohl schon fragen, was zum Henker denn so besonders an diesem Stück Klassik sei und warum ich ihn hier damit langweile. Nun, es ist ganz einfach die traurigste Musik der Welt. Nicht mehr und nicht weniger. Und mit traurig meine ich nicht leicht melancholisch, sondern prügel-depri-mässig-traurig. Ich konnte schon damals nicht verstehen, wie Heike dieses Adagio zum puren Vergnügen nach Feierabend konsumieren kann, ohne sich sofort voller Weltschmerz unter die Bettdecke zu verziehen. Obwohl, vielleicht hat sie das ja gemacht - _so_ genau habe ich dann auch nicht nachgefragt. Heute aber, als sie mir per Mail den Titel durch gab, fiel in einem Nebensatz die Bemerkung, dass das vor ein oder zwei Jahren mal ein Dance-Track gewesen sei. Gütiger Himmel! Sofort lief bei mir die Imaginations-Maschine in meinem Kopf an und das Bild einer dunklen Disco tauchte auf: Der DJ legt Samuel Barber auf und die Nebelmaschine verwandelt den Dancefloor in eine, in eiskaltes blaues Licht getauchte Ödwelt. Nach zwei Minuten höre ich auf, die Arme zu bewegen und tappe nur noch apathisch von einem Fuß auf den anderen. Nach fünf Minuten hängt mein Kopf auf der Brust und ich merke, dass die dunklen Flecken auf meinem T-Shirt kein Schweiss vom letzten Techno-Track sind, sondern salzige kleine Tränen, die schon seit einiger Zeit unbemerkt aus meinen Augen schleichen. Ich versuche, mich zu fangen. Wenn diesen Tränen-Mist jemand sieht, ist es wieder vorbei mit aller Coolness. Andererseits - ist doch eh egal. Ist eh alles vorbei. Die Streicher feuern weiter diese scharfen Klangpfeile in Richtung meiner Ohren ab. Diese kleinen Pfeile, die so viel stärker wirken, als alle pompösen Trauermärsche zusammen, die man von den TV-Beerdigungen diverser Berühmtheiten kennt. Meine Fresse, bin ich down. Der Nebel hat sich immer noch nicht gelichtet - der Lichtjockey versteht sein Handwerk. Ich irre durch die Schwaden zu einem verlassenen Tisch in einer dunklen Ecke, lasse mich auf einen Stuhl fallen und stütze neben all den leeren Flaschen meinen Kopf in die Hände. Ehe ich recht weiss, was ich tue, ergreife ich eine fast leere Flasche Jägermeister, breche mit einem Schlag auf die Tischkante den Hals ab. Das ist der perfekte Moment, diese marode, traurige Welt zu verlassen. Verloren in Nebelschwaden, mit aufgeschnittenen Pulsadern und voll mit einer Mischung aus Blut und klebrigem Kräuterlikör. Der Soundtrack zum Untergang schwebt noch immer aus den fernen Boxen wie aus einer anderen Welt herüber. So sehr stilvoll ist es ja nicht, nach Jägermeister stinkend den Abgang zu machen, denke ich noch. Dann plötzlich wird mir bewusst, was ich hier tue. Wieder kullen salzige Tropfen von meinem Gesicht. Doch dieses Mal sind es keine Tränen, sondern kalter Schweiss, der mir innerhalb weniger Sekunden ausgebrochen ist. Ich war gerade wirklich und wahrhaftig dabei, mich vor lauter Weltschmerz selbst zu erledigen. Wegen eines Stücks trauriger Musik! Hey, das ist nur Musik. Ich dachte immer, ich wäre eine gefestigte Persönlichkeit. Dieses miese Adagio hätte mich fast auf dem Gewissen. Alle Traurigkeit ist verflogen. Als ich nach einigen Minuten mit zittrigen Beinen auf die Tanzfläche zurückkehre, frage ich mich noch, warum ich gerade so kurz vor Knapp wieder zur Besinnung gekommen bin. Ich glaube, und die Einsicht fällt mir schwer, weil das Adagio just in diesem Moment zu Ende war. Gänsehaut. Mittlerweile dröhnt wieder ungefährliche House-Music aus den Boxen, aber mir reicht's für heute mit Musik und ich gehe nach draussen. In die nächtliche Stille. Aber kann Stille nicht genau so tückisch sein?
Reinhören und traurig werden (RealPlayer erforderlich)... Morpheus kann Euch auch mit den vollen zehn Minuten versorgen. Das Stück kommt auch im Soundtrack zu Platoon vor.
Geschrieben von Kosmonaut um 14:51
Uhr.
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