Das Kosmolog

Augenblicke in _meinem_ Kosmos
Online seit  dem  09. November 2001
 
 

 

 
  Mittwoch, Januar 23, 2002  
 

 
 
Kann Musik töten?
Blöde Frage, oder? Naja, so ganz ohne ist die Sache ja nicht. Erinnert Ihr Euch an "Die fabelhafte Welt der Amelie"? _Das_ ist wirklich 'ne blöde Frage, denn wenn Ihr den Film gesehen habt, halte ich es für fast ausgeschlossen, dass sich dieser Streifen nicht in Eurere Köpfe eingebrannt hat. Und wer Amelie nicht kennt - dessen Leben ist heute nicht so reich, wie es sein könnte. Klingt pathetisch? Ist auch so gemeint. In diesem, meiner Meinung nach zauberhaftesten Film aller Zeiten, kommt ein Stück Musik vor, auf dessen Suche ich mich heute gemacht habe.
Nach ungefähr 30 Minuten erfolgloser Recherche im Internet fiel mir wieder ein, dass Heike nach dem Kino Interpret und Titel so locker aus dem Ärmel geschüttelt hat und nebenbei erwähnte, dass sie das Teil ab und zu mal daheim mit voller Lautstärke hört.
Ich mailte sie an und sie schüttelte wieder: Samuel Barber, Agnus Dei (Adagio for Strings).
Der ungeduldige Leser wird sich wohl schon fragen, was zum Henker denn so besonders an diesem Stück Klassik sei und warum ich ihn hier damit langweile.
Nun, es ist ganz einfach die traurigste Musik der Welt. Nicht mehr und nicht weniger. Und mit traurig meine ich nicht leicht melancholisch, sondern prügel-depri-mässig-traurig. Ich konnte schon damals nicht verstehen, wie Heike dieses Adagio zum puren Vergnügen nach Feierabend konsumieren kann, ohne sich sofort voller Weltschmerz unter die Bettdecke zu verziehen. Obwohl, vielleicht hat sie das ja gemacht - _so_ genau habe ich dann auch nicht nachgefragt.
Heute aber, als sie mir per Mail den Titel durch gab, fiel in einem Nebensatz die Bemerkung, dass das vor ein oder zwei Jahren mal ein Dance-Track gewesen sei. Gütiger Himmel!
Sofort lief bei mir die Imaginations-Maschine in meinem Kopf an und das Bild einer dunklen Disco tauchte auf:
Der DJ legt Samuel Barber auf und die Nebelmaschine verwandelt den Dancefloor in eine, in eiskaltes blaues Licht getauchte Ödwelt. Nach zwei Minuten höre ich auf, die Arme zu bewegen und tappe nur noch apathisch von einem Fuß auf den anderen. Nach fünf Minuten hängt mein Kopf auf der Brust und ich merke, dass die dunklen Flecken auf meinem T-Shirt kein Schweiss vom letzten Techno-Track sind, sondern salzige kleine Tränen, die schon seit einiger Zeit unbemerkt aus meinen Augen schleichen. Ich versuche, mich zu fangen. Wenn diesen Tränen-Mist jemand sieht, ist es wieder vorbei mit aller Coolness. Andererseits - ist doch eh egal. Ist eh alles vorbei. Die Streicher feuern weiter diese scharfen Klangpfeile in Richtung meiner Ohren ab. Diese kleinen Pfeile, die so viel stärker wirken, als alle pompösen Trauermärsche zusammen, die man von den TV-Beerdigungen diverser Berühmtheiten kennt. Meine Fresse, bin ich down. Der Nebel hat sich immer noch nicht gelichtet - der Lichtjockey versteht sein Handwerk. Ich irre durch die Schwaden zu einem verlassenen Tisch in einer dunklen Ecke, lasse mich auf einen Stuhl fallen und stütze neben all den leeren Flaschen meinen Kopf in die Hände. Ehe ich recht weiss, was ich tue, ergreife ich eine fast leere Flasche Jägermeister, breche mit einem Schlag auf die Tischkante den Hals ab. Das ist der perfekte Moment, diese marode, traurige Welt zu verlassen. Verloren in Nebelschwaden, mit aufgeschnittenen Pulsadern und voll mit einer Mischung aus Blut und klebrigem Kräuterlikör. Der Soundtrack zum Untergang schwebt noch immer aus den fernen Boxen wie aus einer anderen Welt herüber.
So sehr stilvoll ist es ja nicht, nach Jägermeister stinkend den Abgang zu machen, denke ich noch. Dann plötzlich wird mir bewusst, was ich hier tue. Wieder kullen salzige Tropfen von meinem Gesicht. Doch dieses Mal sind es keine Tränen, sondern kalter Schweiss, der mir innerhalb weniger Sekunden ausgebrochen ist. Ich war gerade wirklich und wahrhaftig dabei, mich vor lauter Weltschmerz selbst zu erledigen. Wegen eines Stücks trauriger Musik! Hey, das ist nur Musik. Ich dachte immer, ich wäre eine gefestigte Persönlichkeit. Dieses miese Adagio hätte mich fast auf dem Gewissen. Alle Traurigkeit ist verflogen.
Als ich nach einigen Minuten mit zittrigen Beinen auf die Tanzfläche zurückkehre, frage ich mich noch, warum ich gerade so kurz vor Knapp wieder zur Besinnung gekommen bin. Ich glaube, und die Einsicht fällt mir schwer, weil das Adagio just in diesem Moment zu Ende war. Gänsehaut.
Mittlerweile dröhnt wieder ungefährliche House-Music aus den Boxen, aber mir reicht's für heute mit Musik und ich gehe nach draussen. In die nächtliche Stille. Aber kann Stille nicht genau so tückisch sein?

Reinhören und traurig werden (RealPlayer erforderlich)...
Morpheus kann Euch auch mit den vollen zehn Minuten versorgen. Das Stück kommt auch im Soundtrack zu Platoon vor.

Geschrieben von Kosmonaut um 14:51 Uhr.


 
 

 
 
Hat ja 'ne Weile gedauert, seit dem letzten Eintrag. Zumindest habe ich jetzt Archiv-Links für die einzelnen Monate hinzugefügt. Auf der Startseite werden jetzt nur noch die drei jeweils letzten Einträge angezeigt.

Geschrieben von Kosmonaut um 13:47 Uhr.


 
 

 
  Mittwoch, Januar 02, 2002  
 

 
 
Da sitze ich nun im Jahr 2002, das Modem blinkt gemächlich vor sich hin, aus den Lautsprechern dröhnt die Querflöte von Jethro Tull und in der Küche gluckert die Spülmaschine. Nicht gerade soo aufregend, diese ersten Tage des neuen Jahres. Doch da sind zumindest die brandneuen Euro-Scheine, die in meinem Geldbeutel schlummern. Die sind durchaus was Besonderes für mich. Scheinchen, die noch diesen magischen Geruch von Monopoly-Spielgeld ganz frisch nach dem Auspacken der Schachtel haben. Und dieser silberne Streifen glitzert irgendwie wichtig. Am liebsten würde ich gleich mal ins benachbarte Ausland düsen und weltmännisch die Preise vergleichen. Aber damit sollte ich wohl noch warten. Momentan habe ich mit den Euros ja noch genau so viele Probleme wie damals mit Francs, Lira oder Schilling. Gestern habe ich in der Kneipe vier Mark Trinkgeld gegeben, da ich wieder zu langsam geschaltet hatte. 50 Pfennig wären eher angemessen gewesen.
Aber ich war ja beim Jahreswechsel. Eigentlich die Zeit, um einen abschliessenden Blick zurück auf das alte Jahr zu werfen. Auch so eine dieser blöden Standard-Phrasen, die ich nicht mag. Als Kiddie liebte ich die Sendung "Bilder eines Jahres". Bei jedem zweiten Bericht dachte ich "Ach ja, das war ja auch dieses Jahr. Ist _das_ schon wieder lange her.". Seit meinem TV-Boykott verkneife ich mir zwar die Sendung, aber schließlich habe ich ja meine eigene Best-Of oder Worst-Of-Sendung im Kopf. Keine weltpolitisch bedeutenden Bilder des Jahres, keine Dramen mit globaler Tragweite, keine Sportevents mit Hupkonzerten auf der Straße - lediglich die eingebrannten Augenblicke in meinen verknoteten Hirnwindungen. Eingebrannt bei mir haben sich, neben der Zahl 11 natürlich, drei Sätze, die mein Leben in 2001 maßgeblich bestimmt haben. Sie gingen ungefähr so: "Wie wohl jeder mittlerweile mitgekriegt haben sollte, geht uns langsam das Geld aus. Das heisst, nicht langsam, sondern ziemlich schnell. Wir müssen zusperren.". Gesprochen von meinem Ex-Chef, sind diese Worte bestimmt dafür verantwortlich, dass _mein_ 2001 nicht nur das Jahr von Terror und Bomben, sondern vor allem auch das Jahr des Endes meines ersten DotCom-Abenteuers war. Hoffentlich nicht des letzten.
In das neue 2002 stapfe ich dann auch eher unspektakulär und mit weniger Glanz in den Augen als vielleicht möglich, aber ich bin sicher, das Glänzen ganz schnell wieder aktivieren zu können, wenn es soweit ist. Und womöglich ist 2002 ja ein "Istsoweit"-Jahr.
Ausserdem stapfe ich viel lieber auf neues Terrain, als unkontrolliert hinüber zu rutschen. Pfeif' auf den "Guten Rutsch", diesen Wunsch, der in seiner Blödsinnigkeit nur noch von "Mahlzeit" überboten wird. Zumindest auf meiner Skala.

Geschrieben von Kosmonaut um 13:58 Uhr.


 
 

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