Die Stimme des Führers
Da war doch was.
9. November?
Ach ja, Fall der Mauer zwischen Ost- und Westdeutschen.
Ach ja, die "Reichskristallnacht" 1938. Zumindest ist so der verharmlosende Name, den die Nazis dieser Terrornacht gegeben haben.
Da passt es doch ganz gut, von meinem Besuch am Donnerstag auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg zu erzählen. Dort ist seit letzter Woche die Ausstellung "Faszination und Gewalt" zu sehen:
Die Location
Die nie fertig gestellte, gigantische Kongreßhalle der Nazis. Ein riesiges Kolloseum, natursteinverkleidet und monumental.
Der Umbau
Die Ausstellungsräume liegen in einem stählernen Keil, der sich in und durch das Gebäude bohrt. Über dem eigentlichen Boden wurde eine Zwischenebene eigezogen. Dadurch entsteht wirklich gut der Eindruck, dass die Ausstellung sich nicht die ehrfurchtgebietende Architektur der Nazis zu Nutze macht, sondern irgendwie über den Dingen einen Blick von oben auf die Historie schaffen will. Innen ist nichts verputzt - die alten roten Backsteine entlarven die Architektur als reine Fassade. Typisch für die ganzen ach so tollen Ziele der Nazis. Durch den geschickten Einsatz von Halbdunkel und indirekter Beleuchtung werden die Dimensionen erst richtig klar. Gut gemacht!
Das Thema
- Aufstieg der Nazis und ihres bärtchentragenden Führers zu Halbgöttern
- Die Planung und der Bau des riesigen Areals für die Parteitage
- Reichsparteitage in Nürnberg - der "deutschesten aller deutschen Städte"
- Wahnsinn und Terror gegen Juden, Zigeuner und anders Denkende
- 50 Millionen Tote - der Weltkrieg
- Tage der Abrechnung? - Die Kriegsverbrecherprozesse von Nürnberg
Augenblicke
Irritierend, auf einmal so viele Hakenkreuze zu sehen.
Wenn die fertig geworden wären mit dem Gelände, wäre die Akropolis ein Dreck dagegen gewesen. Wahnsinn!
Die Fotos und Filme von marschierenden Massen sind beklemmend. Jeder fühlte sich klein und unbedeutend und gleichzeitig als Teil von etwas Grossem und Mystischem. Überall nur verklärte Gesichter. Oh Mann, diese Propagandatypen hatten ihr Handwerk dämonisch gut drauf. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir, die wir heute so klug über die Großeltern richten, gegen diese Masche immun gewesen wären. Scheisse, das waren richtige Gottesdienste für Hitler und die Partei, die hier abgehalten wurden. Dieses Massenerlebnis stelle ich mir so ähnlich vor wie heute die Loveparade. Ich darf gar nicht dran denken.
Am schlimmsten ist die laute Stimme des Führers aus dem Nebenraum. Irgendwelche Parolen vom Schicksal des deutschen Volkes. Und alle jubeln. Prima.
Ich sehe zum ersten Mal Filmausschnitte von Leni Riefenstahl. "Triumph des Willens". Der Ästhetik der Bilder kann ich mich nur schwer entziehen. Und wieder denke ich: Diabolisch genial. Die noch nicht mediengesättigten Leute damals muss dieser Stoff regelrecht weggeblasen haben.
Und gleich nebendran alte Schreibmaschinenseiten, die die Rassengesetze von Nürnberg verkünden. Zusammen mit Diagrammen, die den Menschen erklärten, wer wen heiraten durfte. Rasseschutz? Arisches Blut? Bullshit!
Bilder von Grundschülern mit heimtückisch blickenden Verbrechern. Mit krakeliger Schrift steht da: "Die Juden sind unser Unglück". Am schlimmsten ist ein altes Spielbrett. Fast wie Mensch-ärgere-Dich-nicht. Das Spiel heisst "Juden raus". Ich werde wütend.
Wieder alte Akten. Sie dokumentieren staubtrocken die Erschiessung von Zigeunern. Deutsche Gründlichkeit. Und das ist alles wirklich passiert? Hier, in dieser Stadt? In diesem ganzen blöden Land? Die Dokumente sprechen eine eindeutige Sprache.
Die Bilder an den Wänden zeigen jetzt Soldaten in Schützengräben, zerstäubte Städte und Sophie und Hans Scholl von der "Weissen Rose".
Der Gang führt schräg nach unten. Aus unsichtbaren Lautsprechern dröhnen Bomben. Ein paar Bilder, tief in Nischen versteckt, zeigen tote Städte und vor allem Berge von Leichen in den KZ's. Das Ende von tausend Jahren Terror.
Dagegen wirkt der letzte Raum wie eine Farce. Er handelt von den Nürnberger Prozessen. Als ob das Aburteilen von ein paar Schlächtern diese ganze Scheisse ungeschehen machen könnte. Aber ich finde es trotzdem richtig und wichtig. Weiss nicht recht, warum. Vielleicht, weil ich ein Video von einem Lagerkommandanten sehe, der vor Gericht mit fester Stimme vorträgt, dass die Kinder sofort und ausnahmlos "vernichtet" wurden, da sie für den Arbeitseinsatz ungeeignet waren. Vielleicht, weil ich Hermann Göring höre, der sagt, er hätte das nicht gewusst.
Mein Fazit
Ich habe kürzlich einen Satz gelesen, der hängen geblieben ist: "Nur wer weiss, woher er kommt, weiss wo er steht und wohin er gehen kann". Mir hat diese Ausstellung viel dabei geholfen, über die jüngere Vergangenheit meines Landes zu lernen und mich in das Denken meiner Großeltern hinein zu versetzen. Es ist gut, dass die Reste des Reichsparteitagsgeländes noch stehen. Nur so bleibt die Geschichte in Erinnerung. Nur so können wir vielleicht irgendwann wieder Sprüche wie "Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein" hören, ohne an Schwachköpfe mit Glatzen und weissen Schuhbändern in den Springerstiefeln zu denken.
Meine Gedanken schweifen zu einem Freund, der mir kürzlich noch erzählt hat, dass der Holocaust vom "Weltjudentum" benutzt wird, um Deutschland auch heute noch klein zu halten. Vielleicht kommt er bald mal hierher. Ich würde es mir wünschen.
Infos zur Ausstellung: www.reichsparteitagsgelaende.de
Die Bilder habe ich im Juni 1999 gemacht.
Geschrieben von Kosmonaut um 00:43
Uhr.